Die Kunst des stillen Wartens

Gott hat für jeden Gläubigen ein schönes Ziel vor Augen, wie ein Künstler, der ein schönes Werk kreiert. Wir wurden mit vielen verschiedenen Anlagen und Talenten geschaffen, als eine wertvolle „Rohmasse“ und aus dieser Rohmasse möchte er ein vollendetes Gefäß machen. Schon vor unserer Geburt hatte Gott mit jedem von uns einen Plan. Während unseres Lebens arbeitet Gott auf dieses Ziel hin. Er möchte etwas so Herrliches aus uns schaffen, dass er sich die ganze Ewigkeit daran erfreuen kann. Die Schönheit des Charakters lässt sich mit keinem Kunstwerk auf dieser Welt vergleichen. Sie ist in Gottes Augen am wertvollsten und ist das, was Gott wirklich gefällt. „Euer Schmuck soll nicht der äußerliche sein, … sondern der verborgene Mensch des Herzens mit dem unvergänglichen Schmuck des sanften und stillen Geistes, welcher vor Gott wertvoll ist.“ (1. Petrus 3, 3. 4.) Gott freut sich daran, wenn er sieht, dass wir ihm ähnlich werden. Diese Ähnlichkeit mit Gott wird in der Schrift als Heiligkeit bezeichnet. Sie ist auch ein Merkmal der 144.000.  Doch wie gelangen sie an dieses hohe Ziel? Was ist das Geheimnis ihres Erfolgs? „Hier ist Geduld der Heiligen“, lesen wir in Offenbarung 14, 12. Kann es sein, dass die Geduld einer der Schlüssel ihres Erfolgs ist?

Was ist Geduld?

Das Wort Geduld stammt von dem urgermanischen Wort ga-thuldis, das vermutlich „tragen“ bedeutete. Dieses Wort hat ihre Wurzeln sowohl in der griechischen als auch in der lateinischen Sprache. Daher kommt auch das verwandte Wort „ertragen“. Dem Sinn nach bedeutet das Wort Geduld eigentlich „eine Last tragen“ sowohl in zwischenmenschlichen Beziehungen als auch unter widrigen Lebensumständen.  

Geduld ist also, wenn man Widerstand und Schwierigkeiten tapfer erträgt, wenn man sich bei schlechter Behandlung nicht gleich widersetzt oder auflehnt und bei Problemen nicht sofort den Mut verliert. Sie ist die Fähigkeit, bei Unannehmlichkeiten wie Enttäuschungen, Missverständnissen, Leiden, Kummer, Verlusten oder Verzögerungen still zu warten und auszuhalten.

Welchen Stellenwert räumt die Heilige Schrift der Geduld ein?

Als Mose bat, Gottes Herrlichkeit sehen zu dürfen, begehrte er das Schönste und Herrlichste an Gott zu sehen. Gott erfüllte seine Bitte und offenbarte sich ihm als „barmherzig, gnädig, geduldig und von großer Gnade und Treue!“ (2. Mose 34, 6.) Das herrlichste an Gott ist sein Charakter, und die Geduld stellt einer seiner Haupteigenschaften dar.

In 1. Korinther 13, wo sich wohl die schönste und treffendste Beschreibung wahrer Liebe findet, wird die Geduld an der ersten Stelle angeführt. „Die Liebe ist langmütig und freundlich.“ (1. Korinther 13, 4.)
Galater 5, 22 stellt uns die Hauptqualitäten eines wiedergeborenen Menschen dar. Die Geduld ist eine von den Früchten, die der Heilige Geist in einem wahren Christen hervorbringen wird. „Die Frucht aber des Geistes ist Liebe, Freude, Friede, Geduld, Freundlichkeit, Gütigkeit, Glaube, Sanftmut, Keuschheit.“
Der „göttliche Plan zur Ausbildung eines christlichen Charakters“ wird uns von Petrus symbolisch als Stufen dargestellt. „So wendet allen euren Fleiß daran und reichet dar in eurem Glauben Tugend und in der Tugend Erkenntnis und in der Erkenntnis Mäßigkeit und in der Mäßigkeit Geduld und in der Geduld Gottseligkeit und in der Gottseligkeit brüderliche Liebe und in der brüderlichen Liebe allgemeine Liebe.“ (2. Petrus 1, 5-7.) Wir können niemals an das Ziel der allgemeinen Liebe gegenüber jedermann gelangen, wenn wir die Stufe der Geduld zu überspringen versuchen.

Da wir nun gesehen haben, welche Bedeutung die Bibel der Geduld beimisst, wollen wir uns nun damit befassen, wie sie ein Teil unseres Charakters werden kann.  

Durch welche Mittel erzieht uns Gott zur Geduld?

1.    Zeit

Gott arbeitet oft nach dem Prinzip, dass er die einfachsten Mittel und Methoden benutzt, um die besten Ergebnisse und Leistungen zu erzielen. So ein Mittel in Gottes Hand ist die Zeit. Indem sie einfach still und beständig weiterläuft, Tag für Tag, verrichtet sie ihr Werk. Gott hat genug Zeit, und er ist nie in Eile. Deshalb lässt er sich auch in der Arbeit an uns Zeit. Das einzige, was ihm wichtig ist, ist, dass das Werk an uns vollendet wird. Er arbeitet nicht, wie wir manchmal, hastig und oberflächlich, sondern er erstellt ein Kunstwerk, wo jedes Detail mit Liebe gefertigt wird und das Werk am Ende vollkommen ist. Er lässt sich Zeit, weil für ihn das Endergebnis zählt.

Gott nimmt sich auch deswegen Zeit, weil er alles auf ungezwungene und natürliche Weise geschehen lassen will. Wie eine Pflanze, die sich von dem Samen bis zur Blüte und Frucht langsam nacheinander entwickelt, so lässt Gott auch unserem Charakter die nötige Zeit zum Reifen. Niemand erwartet, dass ein Baum am gleichen Tage sowohl Knospen als auch Blüten und reife Früchte trägt. Der Versuch diese Entfaltung zu beschleunigen, wäre genauso sinnlos, wie an einer Pflanze zu ziehen, um sie schneller wachsen zu lassen. Solches Bemühen würde die Pflanze sofort zerstören, denn es würde ihr keinen Raum für den inneren Entwicklungsprozess lassen. Das gleiche Prinzip gilt auch für unsere Ausbildung im Berufsleben. Ein Fachmann wird man auch nicht über Nacht, sondern es führt ein langer, mühevoller Weg dorthin, der mit der Grundschule beginnt und über Mittelstufe sowie Oberstufe und evtl. Hochschule führt. Diese Jahre sind nötig, um sich gründlich auf seinem Gebiet auszukennen. Um alles nach Gottes Plan geschehen zu lassen, brauchen wir Geduld. „So seid nun geduldig, liebe Brüder, bis auf die Zukunft des Herrn. Siehe, ein Ackermann wartet auf die köstliche Frucht der Erde und ist geduldig darüber, bis er empfange den Frühregen und den Spätregen. Seid ihr auch geduldig und stärket eure Herzen.“ (Jakobus 5, 7. 8.)

Gott benutzt die Zeit auch als eine Art der Belastungsprobe für das Material. Er prüft damit die Echtheit des Bekenntnisses und des Charakters. Edle Materialien wie Gold, Silber oder Edelsteine bleiben als solches noch nach Jahren. Wenn es sich aber um ein billiges Material handelt, wird der Rost oder Verwesung davon zeugen. „Nicht immer erkennen wir unsere eigenen Charakterfehler, obgleich sie anderen ins Auge springen. Aber Zeit und Umstände werden uns prüfen und das Gold des Charakters oder wertloses Material ans Licht bringen.“ – Zeugnisse, Band 4, S. 587.  Die Zeit offenbart also die Art unserer Gesinnung. Erst wenn eine Pflanze reif ist, kann man erkennen, ob es sich um Weizen oder Unkraut handelt.

Die Probe besteht oft im Warten. Wir sehen ein sehr lehrreiches Beispiel dessen im Leben Abrahams, als er auf das verheißene Kind warten sollte. Wegen der Verzögerung und seines Mangels an Glauben nahm er sich eine zweite Frau, um das verheißene Kind zu bekommen. Die Folgen der Ungeduld waren Streitigkeit und Uneinigkeit in der Familie und ein Volk, das sich immer in Feindschaft mit dem Volk Gottes befand. Will ich meinen Willen haben, oder bin ich bereit, auf Gottes Zeit zu warten? Die Bibel sagt: „Geduld aber ist euch not, auf dass ihr den Willen Gottes tut und die Verheißung empfanget.“ (Hebräer 10, 36.) Der sonst so herausragende Charakter Abrahams musste aus diesem Grund geläutert werden, als er seinen Sohn Isaak opfern sollte. Er lernte Gott bedingungslos zu vertrauen. Damit hat der Meister dem Gefäß seinen letzten Schliff gegeben und es konnte, als ein gelungenes Werk, für die Ewigkeit aufbewahrt werden.

Ein weiteres anschauliches Beispiel in der Heiligen Schrift ist Mose. Bevor er das Volk aus Ägypten führen konnte, nahm ihn Gott 40 Jahre in seine Schule auf. „Hier wurden Hochmut und Selbstzufriedenheit hinweggefegt. … Mose wurde geduldig, anspruchslos und bescheiden, ‚ein sehr demütiger Mensch, mehr als alle Menschen auf Erden‘ (4. Mose 12, 3), dennoch stark im Glauben an den mächtigen Gott Jakobs.“ – Patriarchen und Propheten, S. 227.
Dennoch zeigt uns sein Leben auf,  wie schwerwiegend ein ungeduldiges Verhalten in Gottes Augen ist. Als er älter geworden war und unter den Lasten der Wüstenwanderung unter der ständigen Unzufriedenheit und Undankbarkeit des  Volkes ermüdete, verlor er ein einziges Mal die Geduld. Gott konnte sein Verhalten trotzdem nicht entschuldigen, denn der Schaden war angerichtet. Gottes Name wurde entehrt und sein Charakter falsch dargestellt. Deshalb durfte Mose nicht in das verheißene Land eingehen. Aber er war reumütig und nahm Gottes Zurechtweisung demütig an.

Bis jetzt können wir festhalten, dass wir Geduld lernen, indem wir uns Gottes Zeitplan fügen.

2.    Tägliche Prüfungen

Das zweite Mittel, das Gott benutzt, um uns Geduld zu lehren, sind Schwierigkeiten und Probleme des täglichen Lebens. „Meine Brüder, achtet es für lauter Freude, wenn ihr in mancherlei Anfechtungen geratet, da ihr ja wisset, dass die Bewährung eures Glaubens Geduld wirkt.“ (Jakobus 1, 2. 3.) Ist es etwa ein Grund zur Freude, wenn man angefochten und geprüft wird? Auch der Apostel Paulus sagt von sich: „Nicht allein aber das, sondern wir rühmen uns auch der Trübsale.“ (Römer 5, 3.) Ist Trübsal ein Grund, sich zu rühmen? Lasst uns auch gleich die Erklärung des Paulus anhören: „Weil wir wissen, dass Trübsal Geduld bringt. Geduld aber bringt Bewährung; Bewährung aber bringt Hoffnung; Hoffnung aber lässt nicht zu Schanden werden.“ (Römer 5, 3-5.) Die Widrigkeiten und Hindernisse werden uns hier als versteckte Segnungen dargestellt. Es sind Stufen auf denen wir in unserer christlichen Erfahrung in der Geduld bis zur Hoffnung auf das ewige Leben hochsteigen können, die uns nicht enttäuschen wird.

Die Prüfungen sind die Schule Gottes, die seinen Kindern, die er liebt, vorbehalten ist. Es ist eine Eliteschule, in die Gott seine Erwählten schickt und die sie als „Erkaufte von der Erde und Untadelige, in deren Mund kein Falsch gefunden wird“ verlassen. „Mein Sohn, achte nicht gering die Züchtigung des Herrn und verzage nicht, wenn du von ihm gestraft wirst! Denn welchen der Herr lieb hat, den züchtigt er, und er geißelt einen jeglichen Sohn, den er aufnimmt.“ (Hebräer 12, 5. 6.)

Bevor Gott sein erwähltes Volk in das Land Kanaan bringen konnte, schickte er es auch in seine Schule der Geduld. Auch die Israeliten mussten 40 Jahre Wüstenschule absolvieren. Weil sie das Vertrauen und ihre Liebe zu Gott verloren hatten und vergaßen, dass er für sie nur das Beste  wollte, erinnerte sie Gott wieder daran: „So erkenne nun in deinem Herzen, dass der Herr, dein Gott, dich erzieht, wie ein Mann seinen Sohn erzieht. Auf dass er dich demütigte und auf die Probe stellte, um dir hernach wohlzutun.“ (5. Mose 8, 5. 16.) „Alle Züchtigung aber, wenn sie da ist, dünkt uns nicht Freude, sondern Traurigkeit zu sein; aber danach wird sie geben eine friedsame Frucht der Gerechtigkeit denen, die dadurch geübt sind.“ (Hebräer 12, 11.)

Warum gebraucht Gott diese unangenehmen Methoden? „Als Kinder Gottes sollen wir einen hohen Stand erreichen, wir müssen edel, rein, heilig und makellos sein. Aber das erreichen wir nicht ohne einen Veredelungsvorgang. Wie sollte diese Veredelung nun vor sich gehen, wenn nicht Schwierigkeiten und Hindernisse da wären, die überwunden werden müssen, wenn nichts vorhanden wäre, das unsere Geduld und Ausdauer erprobt? Diese Prüfungen bereichern unser Leben mit großen Segnungen. Sie sollen unsere Entschlossenheit zum Siege stärken, als Mittel in Gottes Hand uns in der Selbstüberwindung helfen und uns nicht etwa hindern, belasten und zugrunde richten.“ – Schatzkammer der Zeugnisse, Bd. 2, S. 98.

Denn das, was uns im Moment oft als Hindernis, Belastung oder sogar Zerstörung unseres Lebensglücks erscheint, ist im Rückblick oft das, wofür wir Gott am meisten dankbar sind.   
„Oft sind unsere Seelen, wenn wir uns im Feuerofen der Prüfung befinden, von Selbstsucht verfinstert. Ertragen wir aber die Feuerprobe geduldig, dann strahlen wir hinterher den Charakter Gottes wider. Hat Gott durch die Trübsal sein Ziel mit dir erreicht, dann wird er ‚deine Gerechtigkeit heraufführen wie das Licht und dein Recht wie den Mittag‘. (Psalm 37, 6.)“ – Christi Gleichnisse, S. 121.

Dieses Ziel hatte Gott auch mit Hiob vor Augen. Auch die letzten Unvollkommenheiten seines Charakters wurden im Feuer der Prüfungen verzehrt. „Nehmet, meine lieben Brüder, zum Exempel des Leidens und der Geduld die Propheten, die geredet haben in dem Namen des Herrn. Siehe, wir preisen die selig, welche ausgeharrt haben. Von Hiobs Geduld habt ihr gehört, und das Ende des Herrn habt ihr gesehen.“ (Jakobus 5, 10. 11.) Durch sein geduldiges Ausharren in der ihm auferlegten Prüfung bewahrheitete sich sein eigenes Wort: „Er prüfe mich, so werde ich wie Gold hervorgehen!“ (Hiob 23, 10.)

Das beste Beispiel der Geduld und des Ausharrens liefert uns das Leben Jesu. „Lasset uns laufen durch Geduld in dem Kampf, der uns verordnet ist. Und aufsehen auf Jesum, den Anfänger und Vollender des Glaubens; welcher, da er wohl hätte mögen Freude haben, erduldete das Kreuz und achtete der Schande nicht und hat sich gesetzt zur Rechten auf den Stuhl Gottes. Gedenket an den, der ein solches Widersprechen von den Sündern wider sich erduldet hat, dass ihr nicht in eurem Mut matt werdet und ablasset.“ (Hebräer 12, 1-3.)

Auch das Adventvolk wird in der Geduld geprüft, denn die Verheißung der Wiederkunft Jesu scheint sich zu verzögern. Seit dem Jahr 1844 ist viel Zeit vergangen, und der laue Zustand lädt uns zum Einschlafen ein. Aber vergessen wir nicht, es ist eine Prüfungszeit, die am Ende zeigen wird, ob wir Gott oder die Welt lieben.

„Jeder Einzelne von uns sollte auf das vorbereitet sein, was bald in unserer Welt kommen wird. Keiner von euch kann sich mit einem Sprung in die Stellung begeben, wo er diese Prüfung besteht. Nur wenn wir geduldig und ständig Gutes tun, erlangen wir die charakterliche Stärke, die uns befähigt, auch die Prüfung am Ende zu bestehen. Durch standhafte Integrität an jedem Tag und Bitten zu Gott bekommen wir die Kraft, der Prüfung standzuhalten.“ – Christus ist Sieger, S. 54.

„Die Geduld aber soll festbleiben bis ans Ende, auf dass ihr seid vollkommen und ganz und keinen Mangel habet.“ (Jakobus 1, 4.) Die Geduld führt also zur Vollkommenheit. Und die wahre Vollkommenheit zeigt sich darin, wie man mit dem Unvollkommenen umgeht.

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